Mehr als Clownerei - Gottschalk bei Bayern 3
von Bernd Mühlstraßer
Thomas Gottschalk - heute braucht man über diesen Mann nicht mehr viele Worte zu verlieren. Oder doch? Denn was verbindet man heute mit Gottschalk: Wetten dass ... , die Postaktie und vielleicht noch "Na sowas". Dabei ist Gottschalk aber doch eigentlich ein Radiomann, der auch während seiner größten Fernseh-Erfolge seine Heimat lange auf UKW sah.
Für mich, der Gottschalk von Anfang an am Radio miterlebte, ist auch ganz klar: Thomas ist im Radio am stärksten gewesen und er war dort in den letzten aktiven Jahren deutlich mehr, als der Kasper. Er hatte Radio im Blut und zeichnete sich vor allem als Programmchef aus, der Radio mit Herz und abseits eingefahrener Wege machte.

Angefangen hat aber alles ganz "typisch". Als Entdeckung eines Nachwuchswettbewerbes kam Gottschalk aus seiner Heimatstadt Kulmbach zum BR nach München. Meine "Bekanntschaft" mit dem Thomas vollzog sich auf ganz B3-typische Weise. Ich meine, ein Radiohörer Anfang der 70er war ja bescheiden - das Programm bestand weitgehend aus den klassischen Sendungen vom Band. Die Servicesprecher lasen die Verkehrsdurchsagen, hin und wieder Kurznachrichten, und nach der Titelmelodie kam dann der große Einsatz: "Ja, nun liegt wieder "Musik in der Luft" (so der Sendungstitel). Zu Beginn hören wir Daliah Lavi, die Seekers, Gitte, Bruce Low, die Sweet und los geht's mit den Les Humphies Singers - Mexico". Die gleiche Aufzählung, dann aber rückwärts aufgereiht, dann zur halben Stunde und die Verabschiedung. Die große Abwechslung für den Hörer bestand also darin, WER diese welttragenden Sätze sprechen durfte, welcher Service-Sprecher Dienst hatte.

In den frühen 70er Jahren blieb das Ohr immer wieder mal an einer Männerstimme hängen, die auch nix anderes machte, als diese kurzen Meldungen zu verlesen, aber irgendwie war da was anders. Da blitzte der Schalk durch den Äther, die eine oder andere Randbemerkung war sowohl zum Schießen, wie auch wohl nicht ganz BR-konform. In jedem Fall war es für mich immer schon ein schöner Radiotag, wenn zum Schichtwechsel, z.B. ab 12 Uhr, diese Stimme ertönte.

Eines Tages tönte aus unserem Wohnzimmer ebendiese Stimme. Da war aber gar kein Radio an, sondern der Fernseher. Im Rahmen der Abendschau im 1. Programm liefen gerade Bayernnachrichten und auf der Mattscheibe war ein junges Bürschchen, mit zottligen blonden Haaren, einer großen Nase und einem breiten Mund zu sehen - ich hatte gerade Bekanntschaft mit meiner Lieblingsstimme gemacht und brauchte einige Zeit, Bild und Ton "zusammenzubringen". Aber auch dadurch war Gottschalks Karriere natürlich nicht aufzuhalten. Auch den Verantwortlichen war klar: Diesen Typen kann man nicht nur hinter Verkehrsmeldungen verstecken. Bald folgten auch moderierte Sendungen und schließlich "Pop nach 8" - Gottschalks erste Eigenkreation.

Aus heutiger Sicht ist der Erfolg dieser Sendung kaum mehr richtig nachvollziehbar. Gut, Gottschalk allein ist schon hörenswert, aber wie erklärt sich die auch heute noch spürbare Begeisterung für diese Sendeschiene? Ich für mich kann nur sagen: 20.03 Uhr war alles andere vorbei, kein Abendessen mehr, kein noch so guter Film im TV, keine verfrühten Ermüdungserscheinungen. Es brachte mich schon zur Weissglut, wenn wir vielleicht sehr spät nach Hause kamen und die ersten Minuten verpasst wurden.
Ich hatte, man glaubt es kaum, einen uralten Phillips- Radio mit Röhren!! Das heißt, du schaltest das Ding ein und er muß erst mal vorglühen. Nach ca. 30 Sekunden wurde ein Lämpchen langsam grün, dann nach weiteren wertvollen Sekunden ein verrauschtes, leises Geräusch und schließlich, endlich der richtige Ton.

Was dann, erst fünf Mal die Woche, später täglich zu hören war, war einfach vom Feinsten. Junge Musik, die sich nie nur an den Top-Ten orientierte (Gottschalk brachte uns genauso die Beatles, die Bee Gees, Elvis und andere Heroen näher), aber auch sensationell gute Newcomer (es ist auch von Chris de Burg selbst zu erfahren, dass er seinen Durchbruch Gottschalk zu verdanken hat) und die absoluten Käse-Songs. Käse-Songs? Er spielte sie immer wieder, Heidi, Mao-Zetung von Otto, oder unvergessen bei allen Pn8-Fans: The Floural Dance von der Ristic an Rasted Brass Band (oder so ähnlich) Bababa - bababa - bababääääbaba ..., gell, Ihr wisst von was ich spreche. Geradezu sensationell und mit viel Echo in der Presse waren die Meet & Greet-Minuten. Gottschalk las Hörerpost und Grüße vor, die allein das Geld wert waren. Es wurde berichtet, das er nicht wenige der dort geknüpften Liebestreffen (Silke grüßt den Jungen mit dem blauen Auge aus der Disco Tunichtgut in Breitengüssbach und möchte ihn am Samstag am Stadtbrunnen treffen ...) vor Ort geheim beobachtet hat, um das Ergebnis zu sehen ...

Später kamen verschiedene Specials dazu, die die Sendung abwechslungsreich gestalteten. So wurde ich ein passabler Oldie-Kenner und großer Fan der 60er/70er-Hits im Oldie-Freitag mit den Hörerhitparaden. Top-10-mäßig war man mit dem "Plattentest" up to date. Viele solche Aktionen, mit denen heute ganze Sendungen gestaltet werden, machten die Sendung kurzweilig. Noch heute habe ich übrigens ein schlechtes Gewissen
gegenüber einem meiner heutigen Lieblingsmoderatoren, Jürgen Herrmann ... Was habe ich mich über ihn geärgert, wenn um kurz nach 8 seine Stimme erklang, weil Thommy frei hatte. Aber Vertretung für Gottschalk zu sein, kann nur Ärger einbringen. Sorry, Atze, die späte Reue über mein Verhalten kam bei Mister Music und Classic Rock in wiedergutmachender Weise ...

Langsam wurde Gottschalk durch seine famose Sendung für andere Dinge entdeckt. So moderierte er ein erstes Pop-Clip-Magzin im Ersten, ich glaube, es hieß "Pop-Stop" zusammen mit dem schrägen Anthony Powell. Es folgten die legendären "Telespiele" vom SWF, jener Atari-Mitspiel-Sendung, die heute nicht mal mehr die 4-jährigen überfordern würde. Als Gottschalk bei Pop nach 8 ausstieg, musste sich halb Bayern für diesen Termin ein neues Lebensziel suchen, ein Lücke die nicht zu schließen war.

Erst 1983 kehrt Gottschalk wieder zu Bayern 3 zurück, mit der ersten Version der "Radioshow", Beginn um 13.07 Uhr. War's nicht die richtige Zeit, war er aus der Übung - diese Sendung war nicht der große Wurf und lief nur ein Jahr. Dennoch, als zwei Jahre später eine umfassende Reform das altbackene Programm neu aufmöbeln sollte, entsann man sich des mittlerweile heißumworbenen Gottschalks. Es entstand jene Radio-Show, die zur Legende werden sollte. Im Doppelpack mit Gottschalk und Jauch wurde der Nachmittag zum Blockbuster des Radios.

Doch noch stimmte das Umfeld nicht, in dem sich dieses Duo bewegte. Gute Musikauswahl und Moderatoren der Spitzenklasse am Nachmittag, gefolgt vom B3-Schlagerexpress......das forderte die Geschmacksnerven der Hörer doch etwas zu sehr heraus. Gottschalk und sein Team lieferten den Beweis. Sie setzten eine Ted-Hörerumfrage durch. Wochenlang wurden den Hörern verschiedene Musiksparten beispielhaft vorgestellt und die Abstimmung der favorisierten Sparten ermöglicht. Das Ergebnis war sensationell: So progressiv und anspruchsvoll hatte man den Hörer nicht erwartet, selbst die Verfechter eines Rockradios waren sprachlos. Absolut abgeschlagen - die vermeintlich so gewünschten Schlager und Seichtsongs! Die Konsequenzen folgten: Gottschalk wurde beauftragt, als Koordinator für das Tagesprogramm eine Welle aus einem Guss zu schaffen. Er bildete ein Team hochkarätiger Moderatoren/-innen, verbannte die Blabla-DJ´s (z.B: die 0180-3-3-3-Stimme Susi Müller) aus dem Programm und kreierte das wohl hochwertigeste und stimmigste Radioprogramm in der Geschichte des BR.
Das Werktags-Programmschema 1987 gilt wohl als die Krönung in der B3-Geschichte. Doch es hatte einen Schönheitsfehler: B3 bestand aus zwei Welten - dem progressiven Wochenteam und dem drögen Dudelfunk am Wochenende. Als Konzession an die alten Strukturen beließ man nämlich Samstag und Sonntag in den Händen alter Seilschaften, ein Break, der sicherlich viele Hörer kostete. Die Heckenschützen siegten schließlich gegen die Qualität. Gottschalk war zum Jahresende 87 das Handtuch und kehrte dem BR den Rücken.

Wie ein schleichendes Gift verbreitete sich der Geist des Wochenendes auch sofort wieder auf das Wochenprogramm. Das kann nicht ohne Folgen für die Einschaltquoten geblieben sein, denn bereits 1989 feierte Gottschalk sein Comeback. Nach den gleichen Spielregeln der Vorjahre - werktags hui, sonntags pfui. Ich fühlte mich in diesem 89er-Konzept so wohl wie nie zuvor. Auch wenn Gottschalk m.E zwei "Webfehler" einbaute. Die bisheriger Form der Radioshow mit dem Übergang Gottschalk - Jauch bestand nicht mehr und wurde von den Hörern schmerzlich vermisst, und komischerweise arbeitete ausgerechnet Thomas, der bei seinen DJ´s so viel Wert auf Persönlichkeit und Individualität legt, ohne Sendungs-Titel. Fast alle Sendungen liefen unter dem Titel "Musik + Service". Das klang nach Einheitsbrei und war dabei doch so individuell. Sogar Mr. Music fungierte in den Programmzeitungen als Musik + Service. Nun gut, das war die Verpackung, der Inhalt überzeugte restlos. Noch mehr hatte er ein eingeschworenes Team zusammengeschweißt, der Spaß in diesem, auch akustisch mit den anerkannt besten Jingles der B3-Geschichte, perfektem Radioprogramm zu arbeiten, war allen DJ´s anzuhören.
Bis vielen der Spaß verging.... Es konnte und sollte wohl nicht sein, das Gottschalk, dieser plappermaulende Moderator und Fernsehfuzzy alten Programmgestalter, die dieses Handwerk schließlich seit dem 2 . Weltkrieg gelernt hatten, vormachen sollte, wie ein Radioprogramm aussehen sollte. Aus dem Hinterhalt wurde gegen Gottschalk und sein Team geschossen. Als sein Kumpel Günther Jauch dann im Juli 89 fristlos gefeuert wurde (als Gottschalk im Urlaub weilte) war allen Beobachtern klar: Das Ende von Gottschalk ist nahe. Es war bald klar, am Jahresende wollte er den BR verlassen. Doch der Schlusspunkt kam plötzlich und unerwartet, irgendwann im Oktober 89 moderierte er die letzte Radioshow und ward, ohne Ankündigung, nicht mehr gesehen.

Mit dem neuen -altbacknen- Sendekonzept ab 1.1.90 war die Ära Gottschalk beim BR ausgelöscht. An dieser Stelle ein Wort zu Gottschalks Team. Gottschalk hat sicherlich nicht den Verdienst daran, welche Qualität seine Leute hatten. Aber er hatte den Instinkt, jene zu finden und zu fördern, die jene Qualität entwickeln konnten.
So erkannte er schnell im eigentlich seriösen Korrespondenten Günther Jauch das Showtalent. Schon in den 70er Jahren setze er in einer Pop nach 8 bis Mitternacht - Faschingssendung jenen jungen Mann ein. Er schickte ihn an verschiedene Münchner Discos und der arme Günti scheiterte an jedem Türsteher, live im Radio.

Gottschalk holte einen Ami mit deutlichen Akzent ans BR-Mikro, der regelmäßig fundiert aus der Musikszene berichtete. Heute sitzt mit diesem Mann einer der profiliertesten Musikkenner in der B3-Etage -Jim Sampson.
Er erkannten in einem Teenie-Fernseh- und Schlagerstar den profunden Musikkenner mit kantiger Stimme - Benny Schnier war ein markanter Moderator und ist heute Programmchef eines vielgehörten Radiosenders. Er sammelte Stimmen um sich, die nicht aalglatt und stolperfrei, aber mit Sinn und Tiefsinn und viel Menschlichkeit Ihre Sendungen gestalteten.

Er amüsierte ganz Bayern mit seinem Mann für´s In und Out-Sein, Andreas Lukoschnik, der in seiner Radioshow noch ätzend und wortreich die neuesten Trends analysierte (bevor er dann als TV-Mann den Boden unter den Füßen verlor....). Unter und neben Gottschalk entwickelten sich Medien-Leute der ersten Güte, keine Mitläufer!
Um nicht alles in Lobhudelei ausarten zu lassen: Gottschalk bewies in diesen zwei Phasen als Koordinator für B3 ein Höchstmass an Radioinstinkt. Er stellte mit seinem Team ein Radiokonzept auf die Füsse, das das Zeug zum Radio Nr. 1 hatte. Aber als Moderator entfernte er sich m.E. von seinen ursprünglichen Wurzeln, das Radio für die Hausfrauen und kleinen Leute zu machen. Seine Radioshow wurde immer mehr zum Who ist Who des Showbizz. Eine Telefonaktion mit den Hörern wurde immer mehr zur Seltenheit, die "kleine Hausfrau" wurde nur noch zum Mithören gebraucht, nicht mehr zum Mitmachen, wie in den besten Zeiten der Radioshow.
Daß Gottschalk dennoch eine Radio-Ikone ist, beweisen die noch heute großen Lobbezeugungen vieler Mitarbeiter aus seinem alten Team und nicht zuletzt der große Auftritt in der Bayern 3 - Morningshow im März 2002, als er ganz schnell vormachte, wie Radio wirklich Spaß machen könnte. Gottschalk und Radio, eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte, die leider keine Fortsetzung findet.

Ganz früher war Radio langweilig, weil es KEIN Konzept hatte. Heute ist Radio langweilig, WEIL alles ein Konzept hat. Gottschalks Idee lag genau dazwischen, und das war der richtige Weg!