Mehr als ein Abschied -
von Bernd Mühlstraßer
Jürgen Herrmann hört auf. Nun gut, zwei Stunden pro Woche Radioerlebnis gibt's nicht mehr, was soll daran tragisch sein. Oft genug habe ich die Sendung verschlafen oder verpasst, was sollte mir schon groß fehlen?

Ist es der beginnende Altersstarrsinn eines gut 40-jährigen Radiofans, der mich so traurig macht? Nein, es ist viel mehr. Es geht etwas zu Ende, was ich seit Jahren festhalten will, orientierungslos in den Medien suche und nicht finde. Es ist wie ein Geruch aus der Jugend, der einem in die Nase steigt, ein Geräusch mit dem man schöne Gefühle verbindet - es ist dieses Gefühl, das sich in meinem Herz und der Seele einstellt, wenn nach dem Verkehrsjingle um 22.04 Uhr erst mal ein Rauschen zu hören ist - denn dann weiß ich - jetzt kommt Jürgen, mein Begleiter durch die besten Radiozeiten, jetzt kommt ein Mensch und kein Sprechcomputer.

Ich will hier keine Herrmann-Biographie einstellen, vielmehr möchte ich ein wenig reflektieren über die Gefühle, die ich mit Jürgen Herrmann verbinde. Denn für mich war Atze vor allem eines, eine Konstante meiner jungen Jahre, ein "Freund im Alltag", der so zum Tag gehörte wie der Morgenkaffee, der Weg in die Schule. Ein Freund, der gleichzeitig Dienstbeginn mit mir hatte, wenn ich meinen Laden aufsperrte, der mit mir ins Bett ging (sorry, das kann man auch anders interpretieren). Meine Favoriten auf B3 hatten lange Zeit andere Namen, denn der Jürgen war ja sowieso da. Gottschalk natürlich, Jauch sowieso, und natürlich "meine Bea" - deren Sendungen durfte man nicht verpassen, das waren die Pralinchen. Aber wer kann schon die ganze Zeit nur Pralinen konsumieren? Letztlich, nach 35 Jahren B3, fällt mein Urteil anders aus: Gottschalk, Jauch, das waren tolle Momentaufnahmen - Jürgen war meine Radiowelt! Jürgen meine Nr.1 ? Mühli, was schreibst du da? Darf ich mich selbst daran erinnern, wie grantig ich schaute, wenn in den End-70ern nach dem Sigi plötzlich die Stimme von diesem Herrmann zu hören war? Gottschalk schon wieder nicht da, dafür dieser andere Typ! Jürgen, das gehört zu meinen "Jugendsünden", ich bereue es!! Denn es hat nichts damit zu tun, was ich eigentlich mit "Herman, the German" verbinde.

Ersten Kontakt mit Jürgen hatte ich durch Club 16 auf B2. Wobei mich das Format der Sendung, die tollen Stücke, die gespielt wurden, faszinierten, und weniger, wer da moderierte. Aber, das weiß ich noch, diese Sendung hat sich bei mir als erstes Radioerlebnis eingebrannt, so wie Percy Stuart, Mannix oder "Unser trautes Heim" als erste wichtige TV-Sendungen. "Wiedergetroffen" habe ich Jürgen dann eben als Ersatzmann von Gottschalk, deutlich positiver in verschiedenen Nachmittagssendungen wie Club 15 und besonders dann im Songbook am späten Abend. Nach dem Thema "Hyper Gamma Spaces" aus dem Alan-Parsons-Album mit dem interessanten Cover, wurde das Tor in die wunderbare Welt der "wertvollen" Rockmusik aufgestoßen.

Mit anderen Songbook-Versionen, Blue Night Shadow und den übrigens auch herausragenden "Rock-Dreams" (wo mit Arno-Frank Eser ein ebenfalls phantastischer DJ im Einsatz war), gab es im Verlauf noch ähnliche, tolle Formate von und mit Jürgen, aber seinen absoluten Platz bei mir hat er sich durch zwei andere Sendungskonzepte erobert.

Wobei wir wieder bei den Pralinen wären - Blue Night Shadow, das war das Pralinchen. Ein ungemütliches Herbstwetter, Sturm und Regen, ein paar Kerzchen und gedämpftes Licht, die Ruhe des Abends breitet sich aus, "Auf ein Wort" mit dem täglich hörenswerten Dire Straits-Song und dann die letzte Stunde des Tages mit bester Musik und hörenswerten Moderationen. Catrin, Bea, Jim, Thomas und Jürgen - besser und harmonischer konnte ein Tag nicht enden. Aber - es war halt nicht jeden Abend Herbstwetter-Kerzen-Stimmung - das Leben hält auch andere Dinge bereit. Und so war es ausgerechnet das "Hausfrauen-Radio" von Mr. Music, das bei mir letztlich den stärksten Eindruck hinterlassen hat. Das Gespann Rainer Gerhardt bzw. Benny Schnier/Jürgen Herrmann, das war über viele, viele Jahre hinweg Radio-Alltag, mein Radio-Leben. Eine Sendung, die ich heute noch massiv vermisse! Kein Boulevard-Mist, keine Gewinnspiele - hier moderierte ein Mensch, es gab einen Musik-Mix vom Feinsten, eine Moderation wie eine gute Unterhaltung unter Freunden.

Apropos Moderation: Ich bin mir sicher - in jedem Radio-Casting von heute würde der Jürgen grandios durchfallen. Die Stimme zu hoch, zu viele Verhaspler, und schnell mal einen Schritt zu weit vorgewagt - keine Chance bei einer Bewerbung als Sprechmaschine, wie es für das heutige Radio offensichtlich gefordert würde. Diese schleimscheiß-verbindliche Anbiederei, die aufgesetzte Fröhlichkeit und die konturlose Oberflächlichkeit des heutigen DJs (auch dieser Begriff verbietet sich heute eigentlich) - Jürgen, da wärst du chancenlos. Denn Jürgen Herrmann, das ist Tiefe, das ist Herz, das ist Mensch. Und die Berliner Schnauze, die sich, und das ist das sympathischste an Jürgen, immer wieder mal zu weit vorgewagt hat. Unvergesslich die Zwischenbemerkungen in seinen Moderationen. Was er z.B. von der Politik eines Bush jr. hält, wir können es leicht erahnen... Nicht selten ist es aus ihm herausgeplatzt, was er sich so denkt über Gott und die Welt, wir konnten es immer zwischen seinen Zeilen herauslesen. Auch über so manches was im BR lief, er konnte nie so ganz seine Klappe halten und hat doch nie zuviel gesagt. Und dies ist wohl ein Charakteristikum seiner Arbeit vor dem Mikro: Jürgen war immer echt, immer Mensch. Zu spüren in seiner Moderation und in der Musikauswahl. Ich glaube, oft ist er nicht mit einem festen Laufplan im Studio gesessen, sondern mit einem großen Koffer an Platten, und erst beim Auflegen von Song A hat er sich für Song B entschieden. Nie konnte seine Sendung daher langweilig, berechenbar oder sich wiederholend sein, jede Sendung war eine emotionale Augenblickaufnahme und somit ein Radioerlebnis.

Neben Mr.Music liebte ich vor allem auch die Schiene "Classic Rock". Diese Musiksparte hat mir Jürgen bereits nahegebracht, als es diesen Begriff noch gar nicht gegeben hat. Hitparaden-Musik war vielfach für mich schon im Alter von 12, 13 zu oberflächlich. Schon damals waren Supertramp, Beatles oder Uriah Heep für mich wertiger und beständiger, als Showaddywaddy oder die BayCityRollers. Und nun war Jürgen in den späten 80ern mit Classic-Rock wieder der "Pausenfüller" für Gottschalk, wenn der mal wieder mit seiner Radioshow pausierte, weil er wetten, ausspannen, "showbizzen" oder sich von Angriffen aus dem BR erholen musste. Dann gab's Classic-Rock mit Atze oder Benny Schnier. Zur besten Sendezeit, von 14 bis 15 Uhr, dröhnten also die Helden der Rockgeschichte aus dem Radio. Das hatte was und vorbei waren die Zeiten, als ich Jürgen als Ersatzmann für Gottschalk verdammen wollte. Ich war fast schon froh, wenn der sich vermehrt in oberflächliche Nachrichten aus der Showszene verlierende Thommy pausierte.

Ich könnte jetzt immer weiterschreiben. Was gäbe es noch zu sagen, über diverser andere Sendeformate von und mit Jürgen Herrmann! Über seine Mentor-Rolle bei vielen Neulingen am Radio, wie eben auch Gottschalk, Catrin Berger, sicherlich auch Thomas Resch. Über seinen sicherlich zermürbenden Kampf um Qualität im Radio; in den 70ern nur punktuell erkämpft, wohl in den 80ern phasenweise weitgehend erreicht, von z.B. Boetzkes immer wieder zertrampelt.

Das wohl schwärzeste Kapitel in seiner BR-Biographie: Die Reform von 1992! Stolze, der große Reformer verkündete: "Unser Zielgruppe sind die 25 - 35 Jährigen, die alten Moderatoren sind zu aufgesetzt." Ohne großes Federlesen wurden die tatsächlichen Fehlbesetzungen aus der Boetzkes-Zeit vom Mikrofon verbannt, wie auch die Qualitäts-DJs vom Format eines Jürgen Herrmann. 92 schien Jürgens Zeit auf B3 beendet, und nie mehr sollte er auch derartig federführend und prägend für dieses Programm sein, wie z.B. im Gottschalk-Team. "Rambo-Manier" brandmarkte Jürgen dieses Vorgehen, und den Start von Neu-B3 kommentierte er als "Mischung aus Kindergarten und Wetterstation" - treffend und irgendwie bis heute charakteristisch für die gesamte Radioszene! Zur Strafe wurde Jürgen sogar auf B1 eingesetzt - z.B. mit der Faschingsfete, Zielgruppe Altersheim! Wage keine Kritik am BR, ein schmaler Wegpfad den Jürgen über viele Jahrzehnte beschreiten musste.

Seine Rückkehr zu B3, zunächst als Koordinator der Popnacht, später auch wieder ins Abendprogramm mit Classic Rock, erschien mir immer ein wenig wie "Brotkrümel für einen verdienten Moderator und altgewordene Radiofans". Nie hatte ich das Gefühl, dass der BR und B3 wirklich hinter ihrem verdienten DJ standen! Und auch dieses Fenster in eine bessere Radiowelt wird nun zugeschlagen. Um keine Legendenbildung zu fördern - der Abschied erfolgte in Abstimmung zwischen Jürgen und dem BR. Jürgen hat angeboten, monatlich einmal als "Reservemann" weiterhin eine Sendung zu machen - ein Angebot das ich nicht ausschlagen würde. Vielleicht sollte man ja, ähnlich wie bei Fritz Egner, eine "Sondersendung" für Jürgen Herrmann installieren. Noch weiss man jedoch nicht, was bei B3 hierzu geplant wird. Was ich weiß - ich verliere am 28.11.06 meinen besten Radio-Freund und damit einen meiner sympathischsten Alltagsbegleiter. Darüber bin ich sehr traurig.

Jürgen - danke für tausende tolle Radiostunden, für mein Musik-Grundgerüst, das ich durch Dich erhielt, für einen Menschen hinter dem Lautsprecher!! B3 - für uns beide nun Vergangenheit! Du kannst stolz zurückblicken, Du hast Radiobayern geprägt und glücklich gemacht. Dafür herzlichen Dank!

Dein treuer Hörer Bernd